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19.11.2024

Detektivarbeit an alten Handschriften

Die Pergamentstreifen der Universitätsbibliothek Klagenfurt stammen aus dem 6. Jahrhundert. aau/bem

Wer im 15. Jahrhundert ein Buch binden wollte, war oft auf Recycling-Material angewiesen. Man zerschnitt ältere Manuskripte, um mit deren Pergament den Falz des neuen Buchs zu verstärken. Diese alten Pergamentstreifen wurden oft über weitere Jahrhunderte unentdeckt in der Bindung des neuen Buchs verborgen.

Wie auch die dreizehn Pergamentstreifen, die der Augsburger Theologe Matthias Simperl und der Straßburger Historiker Eckhard Wirbelauer untersucht haben. Die Streifen, die sich heute in der Universitätsbibliothek Klagenfurt befinden, wurden bereits in den 1920er-Jahren entdeckt. Schon damals war klar: Der Text wurde nicht auf frisches Pergament geschrieben, sondern auf ein beschriftetes Pergament, das abgewaschen wurde, um Platz für den neuen Text zu schaffen. In den 1920er-Jahren konnten die Forscher jedoch nur ansatzweise die alte, abgewaschene Schrift entziffern.
Moderne Technik hilft bei der Entzifferung

Das hat sich nun geändert: Mit modernsten Mitteln haben Simperl und Wirbelauer die Pergamentstreifen genauer untersucht. Mithilfe von UV- und Multispektralaufnahmen gelang es ihnen, die Texte weitestgehend zu entziffern. Dabei haben sie einen neuen, bisher unbekannten Text entdeckt.  Alle Texte auf den Pergamentstreifen konnten identifiziert werden. Das Manuskript aus dem 10. Jahrhundert enthält Bibelkommentare des Kirchenvaters Hieronymus zum Alten Testament und ein Fragment des benediktinischen Gelehrten Smaragd von Saint-Mihiel. Zudem wurden zwei Texte aus dem 6. Jahrhundert gefunden: eine sehr frühe Fassung der Legende des Papstes Silvester (5 Streifen) und einen bisher noch gänzlich unbekannten Kommentar zum Matthäus-Evangelium (8 Streifen).

Bisher unbekanntes Manuskript
“Bisher wusste man nicht, dass es diesen Kommentar gibt. Offenbar wurde er von einem Autor verfasst, den wir nicht kennen”, sagt Simperl, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Augsburg arbeitet und sich schon länger mit alten Handschriften beschäftigt.

“Das Besondere an diesem Kommentar ist, dass er ein sehr eigentümliches Vokabular verwendet”, erklärt Simperl. “Mich fasziniert, wie weit wir seinen Inhalt rekonstruieren konnten – ausgehend von einem sehr bruchstückhaft erhaltenen Manuskript”, sagt er. Dies gelang nur im Team, betont Simperl: “Wir haben uns immer wieder gegenseitig überprüft und korrigiert.”

Ansporn für weitere Suche
Doch wer hat diesen Kommentar verfasst? Simperl vermutet, dass weitere Fragmente in Manuskripten von Vinzenz Sittich, dem Buchbinder des 15. Jahrhunderts, zu finden sind. Vielleicht motivieren die neuen Ergebnisse Bibliotheken diese Handschriften näher zu untersuchen.

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