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Kugeln sind nicht gleich Kugeln: Die weltbekannten Erfindungen aus Lauscha

Von Olga Sinzev

Lauscha ist berühmt für Glaskugeln – sie gehören zu jedem Weihnachtsfest. Doch Kugeln sind nicht gleich Kugeln: Auch weitere weltbekannte Erfindungen haben ihren Ursprung in der kleinen Glasbläser-Städtchen Lauscha.

Auf den Spuren (nicht nur) der mundgeblasenen Glaskugeln


Glas ist in primitiver Form und mit den gleichen Grundstoffen seit 4000 Jahren als Produkt bekannt. Die ältesten Zeugnisse der Glasherstellung auf deutschem Boden stammen aus dem Jahre 758. Dabei kommt der Werkstoff Glas in der Natur nicht vor und wurde rein zufällig beim Brennen von Ton entdeckt – ein Wunder aus Sand, Soda, Pottasche und Kalk, im Feuer bei über 1.300 Grad Celsius geschmolzen.

Der erste gläserne Christbaumschmuck wurde Legenden zufolge von einem armen Lauschaer Glasbläser im Jahre 1847 hergestellt. Statt mit teuren Winterfrüchten schmückte er seinen Tannenbaum mit Äpfeln und Birnen aus Glas. Diese Tradition haben sich die Glaskünstler in Lauscha beibehalten. Seit März 2021 gehört die Handwerkskunst aus Lauscha zum immateriellen UNESCO-Kulturerbe.


Lauscha wurde durch den Bau einer Glashütte gegründet

Namensgebend für das Tal und die Ansiedlung war das kleine Gewässer Lauscha. Das klare Gebirgswasser war als Trinkwasser und Energieträger im späten Mittelalter Voraussetzung für die Glasmacherei, neben der Erreichbarkeit der Rohstoffe Quarzsand (aus den Steinheider Sandsteinbrüchen), Soda (Flussmittel und Glasbinder, wurde aus gebranntem Tuffstein aus den Steinbrüchen um Weißenbrunn gewonnen, auch das Härtemittel Kalk wurde dorther bezogen) und Pottasche (Flussmittel und zum Absenken des Schmelzpunktes, aus Buchenholz selbst gesotten) sowie einem großen Brennholzvorkommen. Der Gründersage nach war es auch der Grund, warum sich die ersten Glasmacher hier niederließen (“Lausch’, a Bach!”).

Im Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) blieb die junge Stadt von Kriegshandlungen verschont, doch durch die darauf folgende europaweite Nachkriegskrise standen viele Handwerker vor der Insolvenz. Es würde kein Glück geben, aber das Unglück half: Gerade die zahlreichen Zerstörungen während des Krieges und die gestiegene Nachfrage nach runden Fensterscheiben mit einer Verdickung in der Mitte (allgemein als Butzenscheiben bekannt), die zur Reparatur von Häusern, Kirchen und anderen öffentlichen Gebäuden verwendet wurden, retteten die Situation der Glasbläser. Nach Abschluss des Westfälischen Friedens stieg zudem der Absatz von Haushaltsglasprodukten deutlich an. So wurden nach dem Krieg fast ausschließlich Fensterscheiben, Apothekerglas (Flaschen, Gefäße und Reagenzgläser) und Trinkgefäße für begüterte Bürger und die Fürstenhöfe gefertigt. Die jüngeren, nicht erbberechtigten Söhne der Glasmeister errichteten in der Umgebung immer wieder neue Glashütten, um die herum neue Ansiedlungen entstanden.


Lauscha als Heimat der Weihnachtskugel

Das Glasbläser-Städtchen wuchs: Die Einwohnerzahl der Gemeinde stieg zwischen 1781 und 1871 um das Fünffache an. Mitte des 18. Jahrhunderts boten die Glashütten nicht mehr genug Arbeit für die schnell wachsende Ortschaft. Neue Einkommensquellen mussten erschlossen werden – und aus der Not wurde die Christbaumkugel erfunden.

Schon um 1755 wurden in Lauscha hohle Glasperlen produziert, die als Schmuck oder Spielzeug dienten. Ab 1820, nach der Einführung des Blasebalgs, gelang es Handwerkern, größere Teile zu blasen. Der Legende nach war es einige Zeit später ein armer Glasbläser, der die Christbaumkugel erfand. Weil er kein Geld für teure Nüsse und Äpfel hatte, dekorierte er seinen Weihnachtsbaum mit selbstgeblasenen Glaskugeln. Schon im darauffolgenden Jahr wurden die ersten Weihnachtskugeln, das waren zunächst große bemalte Glasperlen, in verschiedenen Größen über den Eigenbedarf hinaus angefertigt, wie ein erhaltenes Auftragsbuch beweist. Anderer Christbaumschmuck wie Vögel, Baumspitzen, Glocken, gläsernes Obst und Tropfen kamen dazu.

Der handgefertigte, vor der Lampe mundgeblasene, gläserne Christbaumschmuck hat sich im 19. Jahrhundert zu einem Exportschlager entwickelt. 1880 stieg der amerikanische Handelskonzern Woolworth in das Weihnachtsschmuckgeschäft ein und exportierte erstmals riesige Mengen filigraner Werke in die USA. Um 1900 bestellte Frank Woolworth für seine Kaufhauskette ca. 200.000 Stück Kugeln und figürlichen Christbaumschmuck pro Jahr.

vitrine-im-museum-fuer-glaskunst-lauschaNach 1939 wurde kein Christbaumschmuck mehr hergestellt. Erst nach dem Krieg nahmen die ersten Familienbetriebe die Fertigung wieder auf. Später, zu DDR-Zeiten, produzierten 1300 Mitarbeiter für den VEB Thüringer Glasschmuck, Baumschmuck fürs In- und Ausland. Rund ein Drittel der Weihnachtsproduktion ging nach Osteuropa, ein Drittel, stark subventioniert, auf den heimischen Markt. In Lauscha erzählt man noch heute, der Export der kleinen Glaskunstwerke habe der DDR Jahr für Jahr so viel an Devisen gebracht wie das berühmte Meißner Porzellan.

Heute wird der gläserne Christbaumschmuck in originaler Handwerkskunst wieder angewandt, sogar alte Werkzeuge und Formen, die zu DDR-Zeiten auf staubigen Dachböden überdauert hatten, werden wieder genutzt. Mittlerweile gibt es mehr als 80 Werkstätten, in denen übers Jahr “verzaubertes Glas” geblasen wird, das in der Weihnachtszeit Christbäume rund um den Globus schmückt.


Ludwig Müller-Uri

Glasauge aus Lauscha

Auch das künstliche Menschenauge aus Glas, das noch heute Grundlage der modernen Augenprothetik ist und weltweit eingesetzt wird, ist in Lauscha entstanden. 1835 fertigte der Lauschaer Ludwig Müller-Uri (1811-1888) erstmals ein künstliches Ersatzauge aus Glas in bis dahin ungekannter Qualität an. Die Lauschaer Kunstaugen revolutionierten die Versorgung von Patienten, die durch Unfall, Krankheit oder Krieg ein Auge verloren hatten.

Gefertigt wurden künstliche Ersatzaugen zu medizinischen Zwecken wohl schon im 16./17. Jahrhundert, etwa in Venedig, Amsterdam und Paris. Mitte des 17. Jahrhunderts war Paris ein Zentrum für künstliche Menschenaugen aus Glas. Angeregt durch perfekte Puppenaugen, die in Lauscha hergestellt worden waren, kontaktierte der Würzburger Arzt Heinrich Adelmannden den dort ansässigen Müller-Uri und inspirierte ihn zur Entwicklung eigener Glasaugen.

Durch Experimentieren mit Materialien und verschiedenen handwerklichen Methoden entwickelte Müller-Uri, der in der väterlichen Werkstatt eigentlich gläserne Tier- und Puppenaugen herstellte, eine ganz neue Art von künstlichen Menschenaugen. Sie konnten der Muskulatur des Augapfels angepasst werden, waren gut verträglich und optisch kaum von gesunden Augen zu unterscheiden. In Zusammenarbeit mit anderen Glasmeistern kam es 1868 mit der Erfindung des Kryolithglases zu einem Meilenstein in der Geschichte der Augenprothetik. Die Methode der Herstellung wurde im Laufe der Jahre von Müller-Uris Nachfahren ebenso wie von ihm selbst wiederholt verbessert und vervollkommnet. Das Grundprinzip der Prothesenherstellung ist aber auch nach fast 200 Jahren noch dasselbe.

Neben der Herstellung Lauschaer Glasaugen werden in Lauscha auch heute Puppen und Figurenaugen hergestellt, auch speziell für Babypuppen.


Sie rollt und rollt und rollt: Kleine Kugel fürs Murmelspiel

Spiele mit kugelrunden Gegenständen (Murmeln) sind vielseitig und machen überall Spaß. Und wenn es um Murmeln aus Glas geht, kommt einem Glasbläser aus Lauscha eine große Bedeutung zu.

Bei der Fabrikation massiver Tieraugen aus Glas für die sonneberger Puppenfabriken erfand 1848 Johann Christian Simon Carl Greiner (1783-1851), der Schwiegersohn des Ludwig Müller-Uris, ein Werkzeug, das die Herstellung von Glasmurmeln entscheidend erleichterte: die Märbelschere. Sein Familienbetrieb besaß bis zum Ersten Weltkrieg das weltweite Monopol der Fertigung von Glasmurmeln. Mit dem Kapital seiner Firma Elias Greiner-Vetter-Sohn, die Farben für die Glas- und die Porzellanmalerei hergestellt hatte, begründete Carl Greiner 1853 die heutige Farbglashütte.


SCHON GEWUSST?

In Lauscha wird ein sehr eigener ostfränkischer Ortsdialekt gesprochen. In seiner reinen Form ist der Lauschaer Dialekt u. a. durch das Werk des Mundartdichters “Blaachs Erwin” Erwin Müller-Blech überliefert, aber auch heute wird noch gerne in Mundart gesprochen, gedichtet und gesungen.


Übrigens: Die beiden ersten Glasmacher, die aus Schwaben und Böhmen stammen und sich im Lauschatal niedergelassen haben, hießen Müller und Greiner. Viele Familien in Lauscha führen heute noch diese beiden Namen. Um sie voneinander zu unterscheiden, wurden sie oft mit recht lustigen Spitznamen versehen.

Dazu gibt es folgenden Vers:

“Greiner Vetter, Greiner Schwager,
Greiner Mauschel, Greiner Bär,
Greiner Adam, Greiner Bastel,
Sixer und dergleichen mehr. –
Doch nicht nur für Greinersleute
ward ein Lauscha aufgebaut:
Müller Pathle, Müller Kleiner,
Müller Zieg und Müller Schmied,
Müller Schulz und Müller Kuller
und noch weiter geht das Lied”.


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