RESONANZ | INTER KULTUR WISSENSMAGAZIN IN DER METROPOLREGION NÜRNBERG

AUS PRINTAUSGABE 09/10|2023 (auf Bild klicken, um ePaper zu lesen)

15.09.2023

Vergessen ist in der Evolution genauso wichtig wie Erinnern

Das Simulationsmodell zeigt, wie Tiere sich im Laufe des Lebens an wichtige Informationen erinnern, diese vergessen und diese weitergeben. | Bildquelle: © Laurel Fogarty

Um sich effektiv in unserer Welt zurechtzufinden, bedarf es nicht nur eines guten Gedächtnisses, sondern auch des klugen Vergessens. Soziales Wissen zu vergessen kann mit einem evolutionären Vorteil einhergehen. Zu dieser Erkenntnis kommen Forschende am Leipziger Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in verschiedenen Simulationsmodellen.
Sie fragten sich: Unter welchen Umständen lernen Individuen voneinander? Wann ist es von Vorteil, gelernte Informationen zu vergessen oder sie im Gedächtnis zu behalten? Wann ist es stattdessen vorteilhafter, neue Lösungswege zu entwickeln, innovativ zu sein?

Im Simulationsmodell wurden verschiedene Szenarien durchgespielt. Es zeigte sich, dass ein Individuum, das sich alles merken kann und nichts vergisst, zwar potentiell eine riesige Auswahl an möglichen Verhaltensweisen und Handlungsmöglichkeiten hat, sich aber genau deshalb häufig für das Falsche entscheidet. Individuen, die weniger nützliche Verhaltensweisen vergaßen, trafen oft bessere Entscheidungen. Vergessen kann also von Vorteil sein, ebenso wie soziales Lernen durch die Beobachtung anderer bei der Lösungsfindung.

Bisher gingen Forschende davon aus, dass Tiere und Menschen vor allem dann von sozialem Lernen profitieren würden, wenn sich ihr Lebensraum nur langsam verändere – die Informationen, die sie voneinander lernen, blieben dann über einen längeren Zeitraum hinweg aktuell und anwendbar. In dynamischen und sich schnell verändernden Lebensräumen seien Innovationen aber nützlicher, denn vorhandene Informationen veralten rasch.

Die aktuelle Studie widerlege damit die vorherrschende Lehrmeinung, dass sich soziales Lernen nur unter relativ stabilen Umweltbedingungen entwickeln könne, während unter dynamischen Umweltbedingungen Innovation durch natürliche Selektion begünstigt werde. Durch die Integration von Gedächtnis und Vergessen kann soziales Lernen unter einer breiteren Palette von Umweltbedingungen entstehen, als bisher für möglich gehalten wurde. Das Zusammenspiel von Lernen, Erinnern und Vergessen erweitert also die Bedingungen, unter denen sich soziales Lernen herausbilden kann, wobei sich Gedächtnis, Vergessen und soziales Lernen im Laufe ihrer Entwicklung gegenseitig beinflussen.

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